"Ich habe versucht etwas zu bewegen" Freiwilligenbericht aus Palästina

"Ich ging nach Palästina und wusste nicht, was mich erwarten würde. Eine Reise ins  Ungewisse.  Rückblickend glaube ich, dass ich einfach blind an die Power des Skateboardens geglaubt habe. Irgendwie wusste ich, dass mit meinem Skateboard an meiner Seite alles gut werden würde. Heute, nach dieser Erfahrung, ist mein Glaube an die positiven Auswirkungen des Skateboardens stärker denn je. Es ist schwer, keine Klischees zu bedienen, wenn man über internationale Freiwilligenarbeit schreibt. Es ist oft ein sehr romantisiertes Thema. Ich werde versuchen, so ehrlich wie möglich zu sein und hier von einer Erfahrung erzählen, die mich seitdem begleitet.

Als ich in Bethlehem ankam, warteten acht skate-aid Boards auf mich und mit ihnen begann ich offene Skateboard-Workshops durchzuführen. Es war nicht schwer, die Kids zu motivieren und es waren teilweise sogar zu viele Kinder, die es gerne sofort versucht hätten. Nach der Schule kamen sie alle zu meinem Zimmer gerannt und viele Fäuste klopften an meine Tür und forderten mich auf mit ihnen skaten zu gehen. Es war manchmal etwas schwierig und hektisch, aber auch sehr lustig und aufregend. Wir hatten allerdings unser gemeinsames Gleichgewicht noch nicht so richtig gefunden. Die Kids haben sich um die  Boards gestritten und die Älteren ließen die Kleinen nicht skaten. Ich war keine Autoritätsperson für sie und da sie logischerweise in der Überzahl waren,  hörten sie mir überhaupt nicht zu. Das ich kein Arabisch sprach, war natürlich auch nicht gerade hilfreich.  Es war ein totales Durcheinander und ich war jeden Abend wirklich erschöpft. Trotzdem gab ich nicht auf. Ich dachte über neue Strategien nach, die ich am nächsten Tag auszuprobieren konnte. Ich hatte noch fast drei Monate Zeit, ich musste die Sache hier zum Laufen bringen.

Mir wurde klar, dass ich strenger mit den Kids umgehen musste (zumindest bis ich ihren Respekt hatte). In ihrer Schule und bei ihnen zu Hause gab es viele Regeln und viele autoritäre Erwachsene. Die würden mich verfluchen, wenn ich es zulassen würde, dass die Kids meine Regeln ohne Konsequenzen brechen konnten. Andererseits  hätten wir dann aber auch nicht so viel Spaß beim Skaten gehabt! Es gab ein paar Kinder, die unsere Skatesessions besonders störten, aber ein Junge stach definitiv heraus. Er war besonders gemein und laut. Er schikanierte die anderen extrem  und beeinflusste damit auch deren Verhalten. Ich bemerkte, dass er selbst dabei auch keine gute Zeit hatte seine Frustration an anderen auszulassen. Sein Verhalten war für die gesamte Gruppe destruktiv. Ich musste also handeln. Nach zig Versuchen ihn zu beruhigen und ihn einfach nur zum Skaten zu bewegen, musste ich den Workshop abbrechen und ihn nach Hause bringen. Dabei  hielt ich ihn an einem Arm fest und musste ihm sogar einmal hinterherrennen als er sich losgerissen hatte. Dies war eine schockierende Erfahrung für mich, weil ich noch nie so autoritär auftreten musste und noch nie mit so einer unglaublichen Aggression eines Kindes konfrontiert worden war.  Ich erinnere mich, dass mein Herz sehr heftig schlug, als ich zurück zum Skatepark ging, nachdem ich ihn in der Obhut seiner Pflegemutter gelassen hatte. Wir setzten den Workshop fort und der Rest der Kids schien fast dankbar zu sein, dass wir jetzt ein bisschen Ordnung hatten. Dieser unangenehme Zwischenfall machte den Rest der Session für alle besser und jetzt wussten sie außerdem, dass ihre Handlungen auch Konsequenzen haben konnten. Durch ein bisschen mehr Respekt konnte und wollte  jeder jetzt skaten und Spaß haben, anstatt Chaos zu verursachen.

Am nächsten Tag ließ ich den Jungen, der Probleme gemacht hatte, in meiner Klasse zurück, in der Hoffnung, dass er anders sein würde, aber er tat dasselbe wie am Tag zuvor: mich „testen“, die anderen Kids anschreien und störend sein. Also brachte ich ihn wieder nach Hause. Diesmal war er aber schon ruhiger, als wir gingen. In dieser Nacht schmiedete ich einen Plan: am nächsten Tag klopfte ich an die Tür des Jungen und fragte nach ihm. Ich hatte zwei Skateboards dabei eins für jeden von uns. Er war erst ziemlich schüchtern und wusste nicht, warum ich ihm ein besonderes Privileg einräumte, nachdem er sich so schlecht benommen hatte. Wir verbrachten eine Stunde damit, zusammen zu skaten. Er nutzte die Chance, die ich ihm gab und wusste meine Freundlichkeit zu schätzen. Nach unserer kleinen Session  änderte er sein Verhalten. Er fing an, kleineren Kindern zu zeigen, wie man auf dem Brett steht und half mir am Schluss eifrig, alle Bretter und Helme nach Hause zu tragen.Dieser kleine Erfolg fühlte sich sehr gut an,  war jedoch nicht die letzte Herausforderung. Während meines gesamten Aufenthalts gab es kleine Konflikte und ich versuchte, positive Lösungen zu finden. Nicht alle waren erfolgreich, aber ich glaube, ich konnte das Leben einiger Kids ein wenig positiv verändern, wenn vielleicht auch nur vorübergehend. Während meines Aufenthalts schien sich der besondere Junge aus dieser Geschichte rundum positiv verändert  zu haben. Seine Pflegemutter berichtete mir später, dass er nach dem Skateboarden zu Hause ruhiger war und ich bemerkte, dass er weniger frustriert und wütend war, als bei unserem ersten Zusammentreffen.

Als Freiwilliger sind die Erwartungen, „etwas zu bewegen“, bei der ersten Reise sehr hoch. Man möchte der ganzen Welt helfen und sie positiv  beeinflussen. Das sind große Ziele. In Wahrheit ist das etwas sehr Schwieriges, selbst in der Nachbarschaft oder in der eigenen Familie. Es erfordert viel Mühe und ist emotional anstrengend. So ein Trip zeigt einem die Realität und verringert die Erwartung, wie groß der Unterschied ist, den man machen kann. Man erkennt, dass man möglicherweise „nur“ wahre Freundschaften schließen kann und einer Handvoll Kinder etwas Wertvolles beibringen kann. Das fühlt sich aber dennoch wirklich gut an. Es ist etwas Solides und doch nicht wirklich greifbar. Man kann jemanden stärker machen! Am Ende habe ich von den Kids in Bethlehem genauso viel gelernt, wie ich ihnen beibringen konnte. Skateboarding bietet diesen perfekten Mittelweg, auf dem Menschen Freunde werden und voneinander lernen können. Vielleicht geht es darum: Austausch."

Text von Kyryl Baranov, Freiwilliger in Bethlehem, Palästine, September bis December 2019